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Tag der Heimat 2016

  

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Festrede von Dr. Bärbel Beutner
zum "Tag der Heimat" am 11. Sept. 2016
in Salzkotten, BdV-Kreisverband Paderborn

Dr. Bärbel BeutnerSehr geehrte Festgäste,

Bundesweit findet der diesjährige "Tag der Heimat" unter dem Leitwort "Identität schützen - Menschenrechte achten" statt. Dieses Leitwort ist ein Aufruf, ein Appell von großer Tragweite, und ich hoffe das zum Ausdruck bringen zu können.

Die große Kundgebung in Berlin am 3. September wurde durch die Ansprache des Bundespräsidenten Joachim Gauck zu einem historischen Meilenstein. Ich erhielt die Möglichkeit, diese Rede einzusehen und daraus zu zitieren, weil der Stellvertretende Vorsitzende des BdV-Landesverbandes von NRW, Herr Markus Patzke, für den ich als Ersatz hier stehe, sie mir ausdrucken konnte.

Der Herr Bundespräsident hat bereits bei dem ersten Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2015 die deutschen Heimatvertriebenen und ihr Schicksal gewürdigt. Nun gab er am 3. September 2016 einen umfassenden Überblick über die 70-jährige Geschichte der Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland.

Es tut den Betroffenen mit Sicherheit gut, dass ihnen hier von höchster Stelle zugestanden wird, dass auch über 70 Jahre nach Kriegsende das Trauma von Heimatverlust, Flucht, Lebensgefahr, Deportation nicht überwunden ist. "Doch selbst nach sieben Jahrzehnten ist die Vergangenheit nicht gänzlich vergangen. Noch immer sind nicht alle Wunden verheilt, noch immer nicht alles Unrecht eingestanden." (Gauck, 03.09.2016)

Soeben hat der "Frauenverband im BdV e.V." ein Seminar unter der Leitung der Präsidentin Frau Dr. Maria Werthan durchgeführt (26.-28.08.2016), das die Traumatisierungen durch Krieg und Gewalt zum Thema hatte. Die Traumatisierungen wurden an die nachfolgenden Generationen weitergegeben, oft durch Schweigen mehr als durch Worte. Die Psychologie und die Pädagogik bearbeiten dieses Phänomen seit einigen Jahren. Die Literatur darüber wächst und wächst. Ich nenne nur die Historikerin und Journalistin Sabine Bode mit den Buchtiteln "Die vergessene Generation. Kriegskinder brechen ihr Schweigen" oder "Kriegsenkel". Zu nennen ist auch der Psychiater, Neurologe und Altersforscher Prof. Dr. Hartmut Radebold. Eines seiner Bücher hat den Titel "Die dunklen Schatten unserer Vergangenheit. Hilfen für Kriegskinder im Alter" (Verlag Klett-Cotta). Die Wissenschaft nimmt das Kriegsschicksal, zu dem das Vertreibungsschicksal gehört, endlich ernst.

Der Herr Bundespräsident fand in Berlin deutliche Worte für eine Erfahrung, die die Vertriebenen besonders verletzte und die bis heute nachwirkt: das mangelnde Verständnis der eigenen Landsleute für ihr Schicksal. "Ich kann aber auch die Klage und den Groll vieler Flüchtlinge und Vertriebener verstehen, die sich mit ihrem Schicksal von der Gesellschaft allein gelassen sahen und kaum Verständnis erhoffen konnten." (Gauck, 03.09.2016) Die Gründe dafür sieht Gauck vorrangig in den jeweiligen politischen und ideologischen Umständen. "... die Unterdrückung des Themas Flucht und Vertreibung - wie in der DDR - oder seiner Marginalisierung - wie in der Bundesrepublik in Zeiten der Entspannungspolitik. Besonders linke und liberale Milieus versuchten damals aus dem öffentlichen Diskurs auszuklammern, was einer Annäherung mit den Nachbarn im Osten im Wege stand." (Gauck, 03.09.2016) Die Vertriebenen - Gauck spricht dabei von den "Verbandsvertretern" - hätten die Annäherung in Europa auch nicht immer gefördert (durch territoriale Forderungen und unreflektierte Selbstgerechtigkeit), umgekehrt sei "Heimatverlust... im Westdeutschland der 70er und 80er Jahre weitgehend als Kollektivbestrafung für die Verbrechen (der Deutschen) akzeptiert" worden. (Gauck, 03.09.2016)

Das alles sei heute überwunden, meint der Bundespräsident, und man kann ihm nur zustimmen, besonders wenn man sich den aktuellen großen Erfolg, die Entschädigung der deutschen Zwangsarbeiter, vor Augen führt. Ende 2015 stellte die Bundesregierung 50 Millionen Euro für eine einmalige Entschädigung deutscher Zivilisten, die unter einer nicht-deutschen Staats- oder Besatzungsmacht Zwangsarbeit leisten mussten, zur Verfügung. Seit dem 1. August 2016 liegen die Richtlinien vor, und die Anträge können gestellt werden, wie Sie alle aus unserer Verbandsarbeit wissen. Der jahrzehntelange Einsatz der Vertriebenenverbände für eine Wiedergutmachung an den Landsleuten hat Früchte getragen.

Aber ich komme noch einmal auf das Mitgefühl für das Vertreibungsschicksal zurück, das die Vertriebenen bei den Alteingesessenen so schmerzlich vermisst haben. Vielleicht sollte man dabei auch einmal die Situation der Einheimischen beachten. In ein zerbombtes Land mit angeschlagener Infrastruktur kamen Millionen bettelarmer Menschen, in Besatzungszonen mit katastrophaler Versorgungslage. Auch die Einheimischen waren vom Krieg heimgesucht, hatten Männer und Söhne verloren und waren ausgebombt und traumatisiert. Sie konnten nicht noch mit dem Schicksal anderer mitfühlen, in den schweren Nachkriegsjahren schon gar nicht, und später wollte man aufbauen und "etwas schaffen". Mangelnde Empathie oder gar Gefühllosigkeit, wir Lea Fleischmann es den Deutschen bitter nachsagt (Lea Fleischmann, " Dies ist nicht mein Land"), sollte man nicht gleich vermuten.

Es war allerdings für die deutschen Heimatvertriebenen eine sowohl beglückende als auch verstörende Erfahrung, als sie bei den heutigen Bewohnern der früheren deutschen Ostgebiete genau dieses Mitgefühl erlebten. Bei Besuchen in der alten Heimat - wir können es aus unserer Erfahrung besonders aus dem russischen Teil Ostpreußens berichten - stieß man auf Verständnis für die Liebe zur "gemeinsamen Heimat" und für den Schmerz über den Verlust.

Doch ich möchte nun auf das Leitwort 2016 zu sprechen kommen. "Identität schützen" - ich erinnere mich an meine Kindheit und Jugend in den 50er und 60er Jahren. In den Bahnhöfen der Bundesrepublik Deutschland hingen Bildtafeln vom Suchdienst des Roten Kreuzes mit der Überschrift: Wer sind wir? Da gab es Fotos von kleinen Kindern, unter denen z.B. stand: Vorname: Franz, Nachname: unbekannt, geb. vielleicht 1942, wahrscheinlich aus Danzig. Oder: Erika Müller, Geburtsdatum: 15.04.1943 (auf einem Zettel beigefügt), Geburtsort: unbekannt, Eltern: unbekannt, gefunden im Stettin im März 1945. Mitunter waren auch Fotos von Erwachsenen auf diesen Bildtafeln, die nach ihrer Identität suchten.

Hier hat der Krieg den Menschen die einfachsten Grundlagen ihrer Identität genommen: ihren Namen, ihr Geburtsdatum, ihre Herkunftsfamilie. Wer bin ich? Eine lebenslange Schicksalsfrage!

Für die Heimatvertriebenen brachte die Vertreibung (es war keine freiwillige "Migration") einen umwälzenden Einschnitt in ihre Identität. Sie verloren ihr vertrautes Umfeld, das Haus, den Wohnort, den Arbeitsplatz, die Landschaft, das soziale Gefüge, sie verloren Angehörige, Besitz und ihren sozialen Status.

Was macht außerdem noch die Identität aus? Es sind die Traditionen, das Brauchtum einer Region, der Dialekt, Überlieferungen, Kochrezepte und Speisen, Spezialitäten, Lieder, bestimmte Ausdrücke - alles das wurde mit der Vertreibung auseinandergerissen. Man baute in der neuen Heimat mühsam auf, was man an Kulturgut gerettet hatte, das "unsichtbare Fluchtgepäck" war dabei das Wichtigste.

Gibt oder gab es eine schlesische, eine ostpreußische, eine pommersche Identität? Die Frage lässt sich nicht einfach mit ja oder nein beantworten. In gewisser Weise schon, man merkt es, wenn man mit Landsleuten aus den Heimatgebieten zusammenkommt. Da werden bestimmte Ausdrücke gebraucht. "Na, nu hast dich aber verbiestert!", sagt der Ostpreuße (sich verbiestern - sich verlaufen/verfahren), und die Schlesier haben wieder den guten "Sträselkucha" gebacken, den der "Nuppa" (Nachbar) probieren muss. Oder man stellt typische Eigenschaften fest. Bei einem Vortrag über Immanuel Kant (1724-1804), den großen Königsberger Philosophen, der von japanischer Seite mit Sokrates, Konfuzius und Buddha zu den großen Weltweisen gerechnet wird - wurde Kants Sparsamkeit angesprochen, seine Fähigkeit, gut mit Geld umzugehen und hauszuhalten. Er schaffte es, mit seinem nicht sehr üppigen Professorengehalt und seinen sonstigen Einkünften aus seinen Veröffentlichungen ein Haus zu kaufen, einen gastfreien Haushalt mit Personal zu führen, Verwandte reichlich zu unterstützen, Studenten zu fördern, für wohltätige und wissenschaftliche Zwecke zu spenden und ein beträchtliches Barvermögen zu hinterlassen. Das begeisterte die (ostpreußischen) Zuhörer mehr als seine ganze Philosophie. "Er war eben Ostpreuße! Die können das!", hieß es.

Doch der Begriff "Identität" ist weiter zu fassen. Regionale Besonderheiten und die Kultur einer Region gehören zur gesamtdeutschen Identität, und alle sind aufgefordert, diese Identität zu schützen. Während sich die Identität in Westdeutschland erhalten konnte - man sieht es im Ruhrgebiet, in dem sich die "Ruhrpott-Kultur" weiter entwickeln konnte und das Bergbau-Erbe eine Kulturlandschaft entstehen ließ -, wurde die deutsche Kultur der Vertreibungsgebiete zu einer "Erinnerungskultur". Sie gehört aber untrennbar zur deutschen Identität und ist als solche zu schützen.

Der deutsche Osten - und damit ist der historische deutsche Osten gemeint - hat der Welt ein kulturelles Erbe vermacht, das in Verbindung mit dem geographischen und historischen Ursprungsland gesehen werden muss. Es muss das geschichtliche Bewusstsein erhalten bleiben, dass diese Gebiete deutsch waren und dass ein deutsches Kulturerbe aus ihnen hervorgegangen ist.

Der Bundespräsident nannte am 3. September elf Geistesgrößen, die aus dem Osten stammten. Wer die Ausstellung "Im Dienste der Menschheit" der "Stiftung Deutsche Kultur im östlichen Europa - OKR" gesehen hat, konnte auf den Schautafeln das Leben und Wirken von 84 Philosophen, Mathematikern, Musikern, Dichtern, Malern, Medizinern, Architekten, Nobelpreisträgern aus dem deutschen Osten kennenlernen - und das war nur eine Auswahl, wie der Katalog betont. Die Schlussfolgerung des Bundespräsidenten, nachdem er u.a. Herder, Eichendorff, Gustav Freitag, Ernst Wiechert, Bergengruen und Sudermann erwähnt hatte, wurde von den Lesern seines ausgedruckten Redemanuskriptes gelb angestrichen (weil ein roter Stift nicht zur Hand war): "Lassen Sie mich also mein Anliegen so zusammenfassen. Das Erinnern, das Gedenken, das Bewahren der Traditionen darf nicht allein in den Verbänden aufgehoben sein. Geschichte und Kultur der ehemaligen deutschen Siedlungsgebiete gehören in das kollektive Gedächtnis der ganzen Nation." (Gauck, 03.09.2016)

Es ist also eine gesamtdeutsche Aufgabe, dieses Kulturerbe zu pflegen. Das geschieht ja auch. Hier in NRW wird an neuen Vorgaben für die Beantragung von Fördermitteln nach Paragraph 96 gearbeitet; die Auflagen sollen erleichtert werden. In NRW werden das Oberschlesische Landesmuseum in Ratingen-Hösel, das Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf, die Martin-Opitz-Bibliothek in Herne und das Westpreußenmuseum in Warendorf gefördert. Aber es muss eine Arbeit auf wissenschaftlicher Ebene möglich gemacht werden, wie es sie in NRW z.B. in der "Forschungsstelle Ostmitteleuropa" an der Universität Dortmund gegeben hat, die dann aufgelöst wurde. Die Aufarbeitung des kulturellen Erbes des deutschen Ostens auf wissenschaftlicher Ebene ist und bleibt ein wesentliches Ziel der Arbeit des BdV in NRW, möglichst in gutem Einvernehmen mit polnischen, russischen, tschechischen und litauischen Wissenschaftlern.

In der Pflege dieses gemeinsamen kulturellen Erbes finden sich die deutschen Heimatvertriebenen schon lange mit den heutigen Bewohnern der alten Heimat zusammen, die sich, geboren in der jeweiligen Region, auch als Schlesier oder Ostpreußen empfinden. Die Vertreibungsgebiete bergen die große historische Chance der Begegnung und der Erschaffung einer neuen Identität, wenn beide Seiten das gemeinsame Erbe pflegen und die gemeinsame Heimat lieben. Den vertriebenen Deutschen bleibt ein Schmerz des Verlustes, der sie immer wieder einholt und dem sie sich stellen müssen, den sie zulassen müssen. Die verlorene Heimat kann, wie Gauck sagt, "zu einem Sehnsuchtsort in der Phantasie" werden. Der BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius nannte sie 2015 "die 'innere Landschaft' in uns selbst", die "Topographie des Herzens". Das alles sind einfühlsame und zutreffende Beobachtungen, aber man kann auch den Schritt in die Außenwelt, in die Realität machen. Den vollziehen die Heimatvertriebenen. Sie sind Arbeiter für Austausch und Versöhnung, und indem sie gemeinsam mit den heutigen Bewohnern die deutschen Spuren in der alten Heimat sichtbar machen und pflegen, tragen sie zu einer neuen Identitätsbildung bei.

Darin liegt die große Chance und auch die Pflicht, sich einzubringen in die Identitätsfindung aller Betroffenen, der deutschen Vertriebenen und der heutigen polnischen, tschechischen, russischen, litauischen "Ostpreußen", "Pommern", "Schlesier", denn Identität ist ein Menschenrecht. Dem Menschen seine Identität absprechen, das bedeutet, seine Individualität, seine Menschenwürde zu zerstören. "Identität stärken" heißt denn auch der Aufruf, denn eine "starke Identität" ist heute notwendiger denn je.

Prof. Dr. Wladimir Gilmanov von der Kant-Universität Kaliningrad/Königsberg, Germanist, Philosoph, Kulturwissenschaftler, definiert Identität als eine Konstante des menschlichen Wesens. "Von mir aus ist 'Identität' eine kognitive und psychoenergetische Kategorie, die in ihrer Wesenheit für alle Kulturen, Nationen und Volksgruppen usw. allgemeingültig und notwendig ist. Sie wird unterschiedlich begriffen und verzeichnet, bleibt jedoch in der tiefsten Tiefe jedes Menschen eine unvertilgbare Konstante. Die moderne Identitätskrise ist durch die Entfremdung von dieser Konstante bedingt und beinhaltet eine selbstmörderische Gefahr der Lebensvernichtung. Die tiefste Ebene der Identität ist die Entsprechung der einzig denkbaren Wahrheit der Kategorie 'Mensch'. Und all die anderen Identitätsebenen sind von dieser Wahrheit abgeleitet, auch HEIMAT ..."

Es ist zunächst eine erschreckende Warnung, die hier ausgesprochen wird: Entfremdung von der Identität kann zur "selbstmörderischen Lebensvernichtung" führen. Vereinfacht ausgedrückt: wenn die Menschen ihr eigenes Wesen nicht mehr erkennen und nicht mehr wissen, was für sie wichtig und lebensnotwendig ist, zerstören sie sich und ihre Lebensgrundlagen selbst.

Wie ist das zu verhindern? Welche Lösung, welche Rettung kann es dafür geben? "Menschenrechte achten" - so lautet der zweite Teil des diesjährigen Leitmotivs zum "Tag der Heimat". Was bedeutet das eigentlich? Die Lehre Immanuel Kants (1724-1804) gibt eine Antwort.

Kant als Vertreter und Vollender der Aufklärung fordert den Menschen zu eigenständigem Denken und Handeln auf, also zur Mündigkeit. "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit", lautet der erste Satz seiner Schrift:" Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" Und weiter: "Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also ein Wahlspruch der Aufklärung." Dieser Aufruf wird an den Menschen gerichtet, der sich aus Bequemlichkeit nicht seines eigenen Verstandes bedient und damit seine Unmündigkeit selbst verschuldet - man könnte sagen: an alle Menschen überhaupt, denn den Hang zur Bequemlichkeit muss sich wohl ein jeder eingestehen.

Der mündige Mensch muss seine Verantwortung wahrnehmen und nach dem moralischen Sittengesetz handeln, das er als Vernunftwesen in sich trägt. Die Verantwortung ist groß, denn mit jeder Handlung, mit jeder Tat stellt der Mensch ein "allgemeines Gesetz" auf. So lautet denn auch eine Formel des "Kategorischen Imperativs": "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde."

Hier soll mehr auf den "praktischen Imperativ" eingegangen werden, eine weitere Form des "Kategorischen Imperativs", der den Menschen, jedes einzelne Individuum, zur Rücksicht, Fürsorge und Ehrfurcht gegen die ganze Menschheit verpflichtet. "Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst."

Den anderen Menschen als "Mittel" brauchen, ihn zum Objekt machen, das bedeutet, ihn seiner Menschenwürde zu berauben, ihn nicht mehr als personales Gegenüber wahrzunehmen. Das schändet nicht nur ihn, sondern auch den Handelnden selbst, denn beide vertreten die ganze Menschheit.

Was aber bedeutet "Zweck"? Es wird als "Ziel" oder "Sinn" wiedergegeben, aber dafür gibt es bei Kant andere Bedeutungen. Zum "Zweck" erläutert er: "Nun sage ich: der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen..." (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten) Kant unterscheidet zwischen "Sachen" und "Personen". Der Mensch als "Person" hat also seinen "Zweck", seine Daseinsberechtigung allein durch seine Existenz. Kant: "Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst." (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten)

Prof. Dr. Gilmanov hat herausgefunden, dass im Deutschen bis zum 15. Jahrhundert ein Holznagel, der sich im Mittelpunkt eines Rades befand, "zwec" hieß. Durch ihn drehte sich das Rad überhaupt erst. Das könnte also heißen, dass jeder Mensch, "jeder andere" und man selbst, ein Mittelpunkt ist, um den und durch den sich das Ganze, die Menschheit und ihr Universum dreht. In einem Vortrag vor dem "Deutsch-Russischen Forum" in Tilsit im Oktober 2014 sagte Gilmanov: " Bei Kant ist der 'Zweck' eine ehrfurchterregende Unendlichkeit in jedem einzelnen Menschen, ein Faktum seiner nicht empirischen, sondern intellektuellen Erfahrung, gleichfalls aber eine unbedingte Quelle seiner essentiellen Verpflichtung, nach dem Kategorischen Imperativ zu handeln ohne Rücksicht auf die hemmenden Faktoren."

Das Vernunftwesen, der mündige Mensch, der "Zweck an sich selbst" hat Rechte - und Pflichten. Er ist keine Sache "zu beliebigem Gebrauche", er kann (und muss) nachdenken und sich kritisch eine eigene Meinung bilden. Diese muss er vertreten dürfen. Er kann ( und muss) von seiner Vernunft öffentlichen Gebrauch machen. Das ist die Meinungsfreiheit, die Redefreiheit, die Glaubensfreiheit, Menschenrechte, die ein Staat schützen muss und die alle achten müssen.

Die Missachtung der Menschenrechte geht alle an; es ist keine innenpolitische oder gar private Angelegenheit. Die Achtung der Menschenrechte aber kann zum Frieden führen. In seiner Schrift "Zum ewigen Frieden" erläutert Kant das Völkerrecht und das Weltbürgerrecht, das die Menschenrechte umfasst, u.a. das Recht auf den Schutz durch die Gesetze, freie Wahl des Aufenthaltsortes, des Wohnortes. Und er betont, dass die Rechtsverletzung an einem Ort überall "gefühlt" wird: "Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen ... Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird; so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt und so zum ewigen Frieden..."

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal auf Worte von Prof. Dr. Gilmanov aus Kaliningrad/Königsberg zu sprechen kommen. Er wurde 1955 in Kaliningrad geboren, sieht sich als "Sohn dieser Stadt und dieser Region" und damit als Erbe ihrer deutschen Vergangenheit. Für dieses Erbe setzt er sich mit seiner ganzen Arbeitskraft ein und hat eine Reihe großer Veröffentlichungen vorgelegt. Er schreibt über seine und unsere gemeinsame Heimat Ostpreußen: "'Sehnsucht' und 'Liebe' sind für mich die zwei Grundbegriffe der ostpreußischen Identität. Das läßt sich veranschaulichen durch mein Erlebnis in einem Ort an der Gilge. In der Mauer einer zerstörten Kirche in diesem Ort wurde nach der Wende die Asche eines ehemaligen Einwohners eingemauert. Laut seinem Vermächtnis. Und an einer kleinen Platte, die die Urne mit Asche deckt, ließ er folgendes anbringen: 'Die Sehnsucht nach der Heimat war so groß, wie auch die Liebe zu ihr.'"

Gilmanov stellt dann "Heimat " und "Heimatverlust" in einen großen Zusammenhang, ebenso "Identität". Alle Menschen sind vertrieben aus einer Welt des Friedens, in die sie aber doch zurückfinden sollen. "Denn wir alle sind infolge der gegenseitigen Tragik der Weltgeschichte aus unserer wahren Heimat des friedlichen und humanen Zusammenseins auf der Erde vertrieben! 'Sehnsucht' und 'Liebe' sind jedoch die existenziellen Zeichen dafür, daß wir sowohl unsere personelle Heimat finden können als auch die wahre Heimat der Menschengattung auf dem Planeten."
 

Quelle:
Ein Beitrag von Dr. Bärbel Beutner, 11.09.2016

 

Rudi Pawelka zum Tag der Heimat 2016:
„Identität schützen – Menschenrechte achten“
Quelle: Ostpreußen-TV - www.youtube.com/watch?v=sqKMxgLl4L0 - 10.09.2016

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